Was der permanente technische Wandel mit uns – und besonders mit der Generation Z – macht
Digitalisierung ist kein Zukunftsthema mehr – sie ist Gegenwart. Smartphones, Apps, Onlineportale, Videokonferenzen und Algorithmen bestimmen unseren Alltag. Und trotzdem oder gerade deshalb stellt sich eine zentrale Frage immer dringlicher: Macht uns technischer Fortschritt zuversichtlich – oder erzeugt er Zukunftsangst?
Diese Frage stand im Mittelpunkt der Deutschlandfunk-Sendung „Lebenszeit“ am 17. Oktober 2025. Gemeinsam mit Markus Appel, Professor für Kommunikationspsychologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, sowie zahlreichen Hörerinnen und Hörern aus ganz Deutschland habe ich dort über technologische Überforderung, digitale Chancen und neue gesellschaftliche Spannungsfelder diskutiert.
Was dabei besonders deutlich wurde:
Technischer Wandel ist kein reines Technikproblem – sondern ein menschliches.
Technik sollte entlasten – tut sie aber oft nicht
Eigentlich war die Idee einfach:
Digitale Technologien sollen Prozesse beschleunigen, Arbeit erleichtern und Zeit freimachen. Doch viele Menschen erleben heute genau das Gegenteil.
In der Sendung habe ich aus meiner eigenen Praxis als Selbstständiger berichtet:
„Ich nutze heute mehr Technik als mir eigentlich lieb ist – nicht, weil sie mir Freude macht, sondern weil ich sie brauche, um überhaupt arbeitsfähig zu sein.“
Der Punkt ist entscheidend: Technik ist zur Voraussetzung geworden.
Nicht zur Option.
Wer Rechnungen schreiben, Reichweite aufbauen, Termine koordinieren oder mit Kunden kommunizieren will, kommt an digitalen Tools nicht vorbei. Das Problem: Mit jedem neuen Tool steigt nicht nur der Nutzen, sondern auch die kognitive Last.
Die App-Flut: Wenn Vereinfachung in Überforderung kippt
Eine Zahl aus der Sendung sorgt regelmäßig für Stirnrunzeln:
Der durchschnittliche Smartphone-Nutzer in Deutschland hat rund 42 Apps installiert. In der Generation Z sind es über 55.
Diese Zahl steht sinnbildlich für ein strukturelles Problem:
Komplexität wird externalisiert – nicht reduziert.
Früher reichte ein Gerät für mehrere Funktionen. Heute braucht jede Funktion eine eigene App, ein eigenes Login, eigene Updates und eigene Datenschutzbedingungen. Das führt zu einer permanenten mentalen Grundanspannung:
- Habe ich alle Nachrichten gelesen?
- Wo finde ich welche Funktion?
- Habe ich etwas übersehen?
Was einzeln harmlos wirkt, summiert sich zu einem dauerhaften digitalen Grundrauschen – ein Stressfaktor, der selten als solcher erkannt wird.
Psychologischer Blick: Warum Technik uns müde macht
Prof. Appel hat diesen Punkt aus psychologischer Sicht präzise eingeordnet. Menschen haben grundlegende Bedürfnisse: Kompetenz, Autonomie und soziale Verbundenheit.
Technik kann diese Bedürfnisse stärken – oder sie systematisch untergraben.
- Wenn Systeme unverständlich sind, leidet das Kompetenzgefühl.
- Wenn Alternativen fehlen, leidet die Autonomie.
- Wenn Kommunikation digitalisiert, aber entmenschlicht wird, leidet soziale Nähe.
Digitale Erschöpfung entsteht also nicht, weil Menschen „technikfeindlich“ sind – sondern weil Technik oft gegen menschliche Bedürfnisse arbeitet.
Multitasking & Dauererreichbarkeit: Ein modernes Missverständnis
Ein weiteres zentrales Thema der Sendung war Multitasking. Studien zeigen seit Jahren:
Multitasking funktioniert nicht.
Was wir als Multitasking bezeichnen, ist in Wahrheit permanentes Kontextwechseln – und genau das kostet Energie. Push-Nachrichten, parallele Videokonferenzen, offene Messenger und E-Mails fragmentieren Aufmerksamkeit und erhöhen das Stressempfinden messbar.
Das Phänomen der sogenannten Zoom-Fatigue wurde in der Pandemie besonders sichtbar: Videokonferenzen ermüden schneller als persönliche Gespräche, weil nonverbale Signale schlechter verarbeitet werden und das Gehirn dauerhaft kompensieren muss.
Gruppenzwang 2.0: Digitale Teilhabe als soziale Pflicht
Ein Aspekt, der mir besonders wichtig ist – und den ich aus der Arbeit mit jungen Menschen gut kenne – ist digitaler Gruppenzwang.
In der Sendung habe ich geschildert, dass viele Jugendliche Social-Media-Apps zwar kritisch sehen, sie aber trotzdem nutzen. Nicht aus Begeisterung – sondern aus Angst, abgehängt zu werden.
„Man ist heute nicht online, weil man will – sondern weil man muss.“
Digitale Plattformen sind soziale Räume geworden. Wer sie meidet, verliert Anschluss an Gespräche, Trends und soziale Dynamiken. Das erzeugt einen subtilen, aber wirksamen Anpassungsdruck – gerade in der Jugendphase, in der Zugehörigkeit zentral ist.
Der Mythos vom „Digital Native“
Ein wiederkehrendes Narrativ lautet:
„Junge Menschen können das – die sind damit aufgewachsen.“
Doch genau dieses Narrativ erzeugt neuen Stress.
Studien zeigen, dass viele Jugendliche zwar sehr routiniert durch Apps navigieren, aber erhebliche Defizite haben, wenn es um:
- Datenschutz
- Informationsbewertung
- Software jenseits von Social Media
geht. Trotzdem wird von ihnen erwartet, im Studium oder Beruf „automatisch“ kompetent zu sein.
„Digital Native zu sein heißt nicht, digitale Kompetenz zu besitzen.“
Diese Erwartungshaltung erzeugt Überforderung – und verhindert gezieltes Lernen.
Der überraschende Gegentrend: Zurück zur Präsenz
Besonders spannend ist ein Trend, den ich aktuell in Unternehmen sehr deutlich beobachte:
Junge Menschen wollen wieder mehr physische Präsenz.
Nach Jahren der Digitalisierung und Pandemie steigt die Nachfrage nach:
- Präsenzseminaren
- echten Begegnungen
- festen Arbeitsorten
Viele junge Beschäftigte sagen sehr klar:
„Ich will nicht acht Stunden online arbeiten und danach fünf Stunden online leben.“
Das ist kein Rückschritt – sondern ein gesundes Korrektiv.
Stimmen der Hörer:innen: Technik zwischen Chance und Zwang
Die Beiträge der Hörerinnen und Hörer machten deutlich, wie unterschiedlich digitale Belastung erlebt wird.
Ältere Menschen berichteten von:
- Angst vor Onlinebanking
- Verlust persönlicher Ansprechpartner
- Scham, etwas „nicht zu können“
Andere schilderten positive Erfahrungen mit Navigation, Tickets oder digitalem Austausch.
Entscheidend ist nicht das Alter – sondern Unterstützung, Tempo und Wahlfreiheit.
Medienkompetenz: Die unterschätzte Schlüsselkompetenz
Immer wieder fiel in der Sendung ein Begriff: Medienkompetenz.
Doch Medienkompetenz bedeutet mehr als Bedienwissen.
Sie umfasst:
- kritisches Denken
- Verständnis für Geschäftsmodelle
- Wissen über Algorithmen
- Fähigkeit zur Selbstregulation
Und sie ist keine Selbstverständlichkeit – weder bei Jungen noch bei Älteren.
Vertrauen, Regulierung und Verantwortung
Ein Punkt, den ein Hörer sehr treffend formulierte:
Viele digitale Stressoren entstehen nicht durch Technik selbst, sondern durch ökonomische Interessen hinter der Technik.
AGBs, Updates, Abschaltungen – vieles entzieht sich individueller Kontrolle. Hier braucht es:
- politische Regulierung
- verständliche Standards
- transparente Prozesse
Nicht alles darf auf die Einzelnen abgewälzt werden.
Was hilft wirklich? Drei Ansatzpunkte
Aus der Sendung lassen sich drei klare Hebel ableiten:
- Reduktion statt Addition
Nicht jede neue Lösung ist ein Fortschritt. - Befähigung statt Beschämung
Lernen braucht Zeit – in jedem Alter. - Dialog statt Generationsklischees
Digitalisierung gelingt nur gemeinsam.
Fazit: Fortschritt braucht Menschlichkeit
Technischer Wandel wird bleiben.
Die Frage ist nicht ob, sondern wie wir ihn gestalten.
Zuversicht entsteht nicht durch mehr Geschwindigkeit, sondern durch Orientierung, Kompetenz und echte Begegnung. Wenn wir Technik wieder als Werkzeug begreifen – und nicht als Selbstzweck – kann Digitalisierung entlasten statt erschöpfen.
Oder anders gesagt:
Die Zukunft entscheidet sich nicht an der Technik – sondern an unserem Umgang mit ihr.
🎧 Das vollständige Interview zum Nachhören
Wer die Diskussion in voller Länge verfolgen möchte, kann die Sendung „Zuversicht oder Zukunftsangst – Leben im ständigen technischen Wandel“ jederzeit online anhören. Das komplette Gespräch mit allen Hörer:innen-Stimmen, wissenschaftlichen Einordnungen von Prof. Markus Appel und meinen Einschätzungen zur Generation Z ist in der Mediathek des Deutschlandfunks abrufbar:
👉 Zum Interview auf der Deutschlandfunk-Website:
https://www.deutschlandfunk.de/zuversicht-oder-zukunftsangst-leben-im-staendigen-technischen-wandel-100.html




